Wie wir durch die Krise glücklicher werden
Das war dann jetzt der letzte Auftrag für eine Keynote bis zum Sommer. Da hocke ich nun. Ich dynamische, selbstständige, alleinerziehende Glücksexpertin mit meiner Mission, die Deutschen glücklicher zu machen. Fliegerlos, 1.500 km von meinen Eltern entfernt in Stockholm. Und ich mache mir Sorgen um die Menschen, die ich liebe. Doch die Schmerzen über den Verlust der Menschen, die uns nahe stehen sind nicht Teil dieses Artikels
Der Reset des Lebens gilt für alle, also auch für mich. Auch ich stelle mir die Frage, wie es weiter gehen wird. Meine Antwort darauf ist unbequem und lästig. Sie mutet heutzutage so an, als würde ich an mentalen Wahnsinn leiden oder grundlegender Realitätsferne zeigen, denn sie lautet: Wir schaffen das nicht nur, nein, wir werden wahrscheinlich gestärkter und glücklicher aus der Krise hervor gehen als wir in sie hineingeschlittert sind. Krisen können glücklich machen. Auch, wenn es gerade schwer zu glauben ist. Aus der Perspektive der Glücksforscherin bin ich davon überzeugt, dass wir gesellschaftlich viel gewinnen werden, auch wenn wir bis dahin viel verlieren.
Jetzt ist Wunschdenken erlaubt und umsetzbar!
Denn unser gesamtes selbstverständliches Leben wurde von einem gemeinen Virus auf den Kopf gestellt. Jetzt können wir unsere Biografie und unseren Gesellschaftsentwurf von Grund auf neu gestalten. Das Virus hat nicht nur unser Gesundheitssystem gesprengt, sondern auch all die Krusten, die bisher über unserer Vorstellungskraft gelegen haben. An allen Ecken brodelt Kreativität: Applausaktionen von Mitmenschen auf Balkonen. Dankesbezeugungen einer Kundin über die Durchsagelautsprecher eines Supermarktes (*1). Bis hin zu einer Stiftung in Schweden, die eine Blitzausbildung für das freigestellte Flugpersonal zu Pflegepersonal finanziert. Mit übrigens überwältigendem Andrang.
Wie viele IT-Berater sitzen gerade ohne Job und Aufgabe zu Hause und könnten der Lehrerschaft der Schule um die Ecke online digitale Kompetenz beibringen? Jede pädagogische Hochschule hat jetzt die Chance, über Skype Meetings ein neues, zeitgemäßes Konzept für die Lehrerausbildung zu entwickeln. Jetzt, wo der Laden eh nicht läuft, könnten wir mal einen Blick auf die Gehaltsstruktur im Unternehmen werfen? Und mal Management-übergreifend die neuen Formen der Führung diskutieren? Jetzt ist es an der Zeit, alle Manager eines Unternehmens das gleiche Buch lesen zu lassen und darüber zu diskutieren. Meines zum Beispiel.
Deutschland auf dem Synapsen Sprung
Wir üben uns jetzt also in Zwangs-Flexibilität und Zwangs-Neudenken und das in einer unbekannten Dynamik. Deutschland ist jetzt lahmgelegt und doch bauen seine Bewohner 82 Millionen Mal ungekannte Synapsen-Konstrukte im Hirn. Denn wann immer wir umdenken (müssen), verknüpft sich unser Gehirn neuronal neu und wir wachsen. Sprich, wir nutzen unser schlummerndes Potenzial. Anstelle des Weges A, wissen wir jetzt, es gibt auch noch Weg B, oder E. Und wann immer wir lernen und mehr Lösungen erkennen, werden wir auch (trotz Krise) ein wenig glücklicher.
Veränderung wird unser neues Hobby werden
Dann ist Veränderung auch kein Zwang mehr, sondern das neue Hobby, wie in den skandinavischen Ländern. Und das tut uns, ganz besonders in Deutschland, sehr gut. Es gibt einen Grund, weshalb wir es bei all unserem Wohlstand nie auf die ersten 10 Plätze der glücklichsten Länder der Welt geschafft haben. Auch dieses Jahr nicht. Beim World Happiness Report landen wir auf Platz 17. Ich bin davon überzeugt, dass sich das nicht nächstes Jahr, aber vielleicht in 2022 geändert haben wird. Wir werden durch die Krise glücklicher werden, denn die deutsche Zukunftsangst und die Furcht vor dem Ungewissen haben unsere Gesellschaft und Wirtschaft lange gelähmt. Jetzt hat die Zukunft also recht unerwartet und als Supergau an die Tür geklopft und therapiert so unsere Bedenken. „Exposure in vivo“ nennt man das in der Psychologie. Patienten werden von ihrer Angst befreit, indem sie mit ihr konfrontiert werden. Deshalb werden viele trotz Krise glücklicher sein.
Welche Zukunft sehen wir?
Wir entscheiden jetzt, ob wir in einer Art Schockstarre verharren, in der das negative Denken Überhand gewinnt. Oder wollen wir lieber die Zeit nutzen, vorauszudenken und uns der Themen anzunehmen, die sonst im persönlichen Alltag und in den festgefahrenen Strukturen der Wirtschaft und Gesellschaft untergegangen sind? Themen wie Digitalisierung, Gleichstellung, Vertrauen und Lebensqualität im Job. Wenn wir in die Zukunft aufbrechen wollen, müssen wir erst die Vergangenheit aufbrechen: Routinen, Selbstverständlichkeiten und Annahmen über die Welt. Das ist jetzt schmerzlich geschehen und ja verdammt, man darf fluchen. Und sollte trotzdem versuchen nach vorne zu schauen.
Wie unsere Welt in Zukunft aussehen wird bestimmen wir heute
Wie also soll unsere Welt aussehen, wenn wir im Herbst 2020 zusammen mit anderen im Biergarten sitzen und kopfschüttelnd zurückdenken an diese ver-rückte Zeit? Denn dann wird die neue Zukunft höchstwahrscheinlich schon da sein. So schnell kann Zukunft gehen! Was werden wir dann sehen? Fühlen? Hören? Wichtig finden? Wie werden wir miteinander umgehen? Was bedeutet Zeit für uns? Was Lebensqualität? Mitmenschlichkeit? Vertrauen? Job? Was wird dann geschehen sein? Die wenigsten von uns werden einfach in das Hamsterrad des Lebens zurück gehüpft sein.
Und es gibt tatsächlich ein Land, das einen ähnlichen Prozess schon hinter sich hat.
Entspannt euch! Krisen machen nicht zwangsläufig unglücklich
Das hat uns bereits 2008 Island vorgemacht. Das einzige Land, das während der Weltwirtschaftskrise wirklich eine Bruchlandung hingelegt hat und den Staatsbankrott erklären musste. Sind die knapp 300.000 Bewohner der kleinen Vulkaninsel durch die Krise unglücklicher geworden? Die Antwort der Glücksexpertin Dóra Guðrún Guðmundsdóttir vom Direktorat für Gesundheit in Reykjavík lautete eindeutig: Nein. Umfragen des Ministeriums zum Thema Glück und Wohlbefinden vor und nach der Krise ergaben, dass das Glücksniveau unterm Strich gleichgeblieben ist. Die 20 Prozent der Isländer, die unglücklicher wurden, hatten sich zu viele finanzielle Verpflichtungen aufgeladen. Die 20 Prozent hingegen, deren Glücksempfinden während der Krise stieg, gaben an, dass sie endlich wieder Zeit für einander hatten. Bei dem kürzlich veröffentlichten Weltglücksbericht liegt Island auf Platz 4.
Krisen sind eine Chance zur Neudefinition
Eine Krise macht also nur kurzfristig unglücklich, langfristig hat sie das Zeug zum richtigen Glücks-Booster. Mancher isländische Banker fährt nun lieber wieder zum Fischen hinaus. Denn die Isländer haben die Krise als Chance genutzt: „Wir haben uns mithilfe lauter Workshops überlegt, wie wir uns als Gesellschaft neu definieren wollen“, so Dóra.
„Wir sind nicht mehr auf dem hohen wirtschaftlichen Niveau, auf dem wir vorher waren. Aber ich denke, wir wollen da auch gar nicht mehr hin.“
Dóra Guðrún Guðmundsdóttir
Wo wollen wir denn nicht mehr hin?
Negatives Denken und Weltuntergangsstimmung bedingen den Weltuntergang. Lasst uns unser Leben nicht in eine vor- und nach Corona-Zeit einteilen. Lasst uns in der Corona-Zeit bereits zusammen am Aufbruch in eine ungewisse Zeit arbeiten. Was ist denn das Schlimmste, was uns passiert sein wird, wenn wir zurückschauen werden? Und ist das wirklich so schlimm? (Merke! Tod anderer Menschen ausgeschlossen) Denn „es kommt nicht darauf an, was dir widerfährt, sondern, was du daraus machst“, so Dóra aus Island weiter.
Quo vadis, Deutschland?
Wenn wir Corona als eine Katastrophe sehen, wird Corona eine Katastrophe sein. Wenn wir es als Chance sehen, werden wir es als Chance nutzen können. Was wir benötigen ist Neugier, Mut und Fantasie. Wer am Boden liegt, der kann nur nach oben schauen und Luftschlösser bauen. Darum lasst uns gerade jetzt anfangen, auf 2,5 Meter Abstand miteinander in den Dialog zu treten und uns von Grund auf zu überlegen, wohin wir wollen. Quo vadis, Deutschland? Wie die Isländer damals.
Warum sorgst du dich?
Wenn sich bei euch jetzt absolut keine positive Stimmung einstellen möchte und eurem Gehirn jeden positiven Gedanken mit einem „Aber“ versieht, nicht verzagen, einfach trainieren. Denn, wie die glücklichen, aber in Dauerschleife gebeutelten Kolumbianer, Costa Ricaner und Mexikaner sagen: Wer dem Unglück das Unglücklichsein hinzufügt, der ist doppelt bestraft. Denn:
„Wenn dein Problem eine Lösung kennt, warum sorgst du dich? Wenn dein Problem keine Lösung kennt, warum sorgst du dich?“
Lateinamerikanisches Sprichwort
Negatives Denken entzieht euch und eurer Umgebung die Energie, die ihr gerade so sehr benötigt. Denn negatives Denken und Stress sorgen dafür, dass sich unser kognitiver Rahmen im Gehirn verengt. Wir haben auf einmal Scheuklappen auf und sehen keine Lösungen mehr. Wir schauen nicht weiter als bis zum Tellerrand des Unglücks. Ganz anders ist es, wenn wir uns darin üben, positiv zu denken. Unser Rahmen vergrößert sich, wir werden kreativer, produktiver und lösungsorientiert. Wir empfinden eine Menge mehr Energie, die wir unseren Liebsten schenken können.
Übrigens: Klagen ist okay. Aber nicht zu lange, nicht zu oft und am besten allein.
Wie geht positiv Denken?
- Macht die 1-Woche-Challange. Versucht eine Woche lang keinen negativen Gedanken zu denken. Ihr werden es nicht hinbekommen. Nehmt es mit Humor! Was euch aber auffallen wird ist, wie viele Dinge wir am Tag so denken, die uns eher runterholen als aufpeppen. Jedes Mal, wenn ihr so einen Gedanken am Schlafittchen habt, nehmt ein wenig Anlauf uns schmeißt ihn gedanklich zurück ins Hirn. Er darf wiederkommen, wenn er positiv ist. Beispiel: Jetzt habe ich auch noch so ein Skype-Meeting! Ummodeln: toll, endlich mal soziale Ansprache. Damit trainiert ihr euer Gehirn, sich auf das Positive zu konzentrieren.
- Hört auf, über negative Dinge zu sprechen, und haltet auch andere an damit aufzuhören. Sprecht das aktiv an, verabredet euch zu „Pep talks“, Motivationsgesprächen, in denen ihr mit einer Menge Humor hauptsächlich über die positiven Aspekte der Krise redet. Zurzeit natürlich eher digital.
- Und mit dem Gute-Laune-Training fangt ihr am besten schon im Bett an. Stellt den Wecker einfach 5 Minuten früher und überlegt euch jeden Morgen, wofür ihr dankbar sein könnt, welche Chancen euch einfallen oder was denn gerade durchaus positiv ist.
- Und dann gibt es natürlich noch den indirekten Weg: Schenkt anderen Menschen ein Lächeln, bedankt euch beim Personal des Supermarktes, beim Postboten, bei eurem – jetzt vielleicht online – Kollegen und all den anderen Menschen, die die Gesellschaft gerade am Laufen halten. Im Moment gibt es kein zu viel an Nettigkeiten, Dankesbekundungen oder Hilfsangeboten.
Helfen ist die Abkürzung zum Glück
Setzt euch doch einfach mal hin und überlegt euch, was ihr könnt und was ihr anderen davon beibringen könntet. Ich zum Beispiel gebe jetzt unentgeltlichen Video-Unterricht für deutsche Konversation an der schwedischen Schule meine Tochter. Grammatikalisch bin ich zwar eine Niete, aber reden kann ich. Einfach mal fragen und Begeisterung ernten. Auch einen Zettel im Hausflur kann Wunder bewirken. Eine Packung Schokolade hinlegen beim Rausgehen für das Personal oder den Kollegen… Postkarten verschicken an liebe Menschen… Wann immer wir etwas für andere Menschen tun, rasen Endorphine durch unser Blut und erfüllen uns mit einem warmen, wohligen Gefühl. Helfen, bedanken, nett sein steigert also zweimal das Glücksgefühl.
Wir steigern das Bruttosozialglück!
„Wenn das Bruttoinlandsprodukt in den Keller rast, dann lasst uns zusammen das Bruttosozialglück steigern.“
Maike van den Boom
Diese Zeiten verlangen uns eine Menge ab. Vor allem aber eine Menge Flexibilität, Mut, uns neu zu erfinden, Unmögliches zu wagen und einfach mal ins kalte Wasser zu springen. Auch hier gilt: Menschen, die das Risiko wagen, sind im Schnitt glücklicher.
Jetzt hat jeder Einzelne die Chance, positiv auf die Geschichte einzuwirken. „Du musst selbst zu der Veränderung werden, die du in der Welt sehen willst“, sagt Mahatma Gandhi. Wenn wir wirtschaftlich ins Bodenlose rasen, können wir einander trotzdem noch die Hände reichen.
Gerade wenn es hart ist, sollst du tanzen!
Ich möchte Sie gedanklich nach Mexiko entführen, eines der Glücksländer, dessen Bewohner seit Jahrzehnten von Krisen gebeutelt werden. Dort traf ich während meiner Recherche zu meinem ersten Buch auf Maria, mit großer Sonnenbrille, ihre schwarzen Haare in einen strengen Pferdeschwanz gebunden. So saß sie damals da in Jogginghose auf die Reparatur ihres Autos wartend. Ihr Tipp für die Deutschen ist so aktuell wie nie: „Wir müssen uns alle so engagieren, dass alles positiv wird. Denn die hässlichen Dinge, die harten Dinge, die nicht wünschenswerten, haben immer mehr Gewicht im Leben. Und deshalb müssen wir dieses Gegengewicht schaffen: das Positive, das Glücklichsein, das Hiersein, das Teilen, das Zusammensein. Wir müssen zusammen die Zukunft gestalten.“
#bleibtgesund #machtdasbestedraus
Eure Maike
(*1) aus dem lesenswerten Newsletter des „Ministerium für Glück und Wohlbefinden“
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