Ehegattensplitting & Co. Nur wenn Mann sich’s leisten kann!

Konflikte haben wir miteinander.

Mit großem Erstaunen verfolge ich die Diskussionen in Deutschland zum Thema Abschaffung des #Ehegattensplittings aus meiner Wahlheimat Schweden.

Dorthin bin ich 2018 mit meiner jetzt 17-jährigen Tochter gezogen, unter anderem weil ich möchte, dass sie in einer Gesellschaft aufwächst, in der #Gleichberechtigung und #Autonomie wirklich großgeschrieben werden.  

(Foto: Cecilia Larsson Lantz/Imagebank.sweden.se)

  • Schweden hat das Ehegattensplitting abgeschafft!

    Vor mehr als 50 Jahren.

  • Ehegattensplitting

    nennt man in Schweden „Frauenfalle“.

  • Fachkräftemangel, Demografie und Vielfalt ...

    Wir brauchen die Hälfte der Gesellschaft.

  • Das Gesamtpaket zählt:

    Betreuung, Elterngeld für Männer, Trennung 50/50.

  • Die schwedische Theorie der Liebe:

    Unabhängigkeit und Autonomie.

  • Frauen lernt loslassen!

    Autonomie bedeutet individuelle Besteuerung.

Gemeinsame Besteuerung abgeschafft

So hat Schweden hat das die gemeinsame Besteuerung inklusive Ehegattensplitting nach intensiven gesellschaftlichen Diskussionen bereits vor über 50 Jahren abgeschafft. Man war sich einig, dass

  • die gemeinsame Besteuerung in private Beziehungsentscheidungen eingreift,
  • andere Formen der gemeinsamen Haushaltsführung wie die von zum Beispiel Geschwistern benachteiligt und
  • zudem eine sogenannte #Frauenfalle ist, da sie die Beteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt hemmt.

In Deutschland hingegen mussten zur selben Zeit Ehefrauen ihren Ehemann noch um Erlaubnis bitten, überhaupt arbeiten zu dürfen.

Für einen modernen Staat, so fanden die Schweden, war eine gemeinsame Besteuerung nicht tragbar und wurde deshalb 1971* abgeschafft.

Arbeitskräfte (/w) gebraucht

Anfang der 1960er-Jahre erlebte Schweden einen extremen wirtschaftlichen Aufschwung. Alle Hände und Köpfe wurden gebraucht! Deshalb war in Schweden – wie heute in Deutschland – der richtige Zeitpunkt gekommen, das „Feigenblatt“ gemeinsame Besteuerung fallen zu lassen, hinter denen sich der Anreiz für Frauen versteckte, halbtags oder zeitweilig gar nicht zu arbeiten.

Wie damals die Schweden können wir uns die falschen Anreize, die eine gemeinsame Besteuerung  setzte, auch heute in Deutschland nicht mehr leisten. Aktuelle Themen, wie #demografischeEntwicklung#Fachkräftemangel, aber auch die Notwendigkeit der #Vielfalt in Unternehmen (#diversity), zwingen uns glücklicherweise dazu, das Beste von allen für alle zu nutzen.

Auch das Beste der Hälfte der Gesellschaft. 

Anstatt für die meist gut (aus)gebildeten Frauen echte Anreize durch mehr Netto vom Brutto zu schaffen, stecken wir sie in ein überholtes Steuer- und damit auch Rollenmodell. Talente suchen wir stattdessen im Ausland. Wie absurd! Zumal diese Talente sich unter den OECD-Ländern lieber das progressive Schweden als neue Wahlheimat aussuchen. Deutschland landet auf Platz 15 von 37 Ländern, Schweden auf Platz 2.

Steuern gegen Fachkräftemangel!

Hat sich die Einführung der individuellen Besteuerung in Schweden ausgezahlt? Die schwedische Steuerreform hatte tatsächlich den Effekt, dass es für Frauen attraktiver wurde, zu arbeiten, da ihr Verdienst nicht mehr höher besteuert wurde. Die Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt stieg deutlich an:

Im Jahr 1970 waren etwa 81 Prozent der Männer, 52 Prozent der verheirateten Frauen und 55 Prozent der unverheirateten Frauen im Alter von 16 bis 64 Jahren erwerbstätig.

20 Jahre später arbeiteten etwa 86 Prozent der Männer, 85 Prozent der verheirateten Frauen und 76 Prozent der unverheirateten Frauen im Alter von 16 bis 74 Jahren.

Heute hat Schweden nach Estland und den Niederlanden die höchste Frauenerwerbsquote Europas. Und zudem eine immer noch höhere Geburtenrate als Deutschland.

Individualbesteuerung geht nur im Gesamtpaket

Die Abschaffung des Ehegattensplittings funktioniert nur, wenn andere Dinge schon bereitstehen, um den Effekt zu verstärken:

KITA UND CO

Ein sehr erfreulicher Nebeneffekt der Aktivierung der Frauen am Erwerbsleben war in Schweden ein erhöhtes Steueraufkommen. Dies konnte dann wieder für den weiteren Ausbau von hochwertigen Kinderbetreuungseinrichtungen verwendet werden. Damit hatte man schon 1970 begonnen. Heutzutage ist 100 Prozent des Bedarfs gedeckt. Win-win.

ELTERNZEIT FÜR MÄNNER

Pappa mit Kleinkind

(Foto: Autorin) Sich sechs bis acht Monate „papafrei“ zu gönnen ist in Schweden inzwischen normal.

Darüber hinaus wurden auch die Väter „motiviert “, sich mehr in die Kinderbetreuung und die Hausarbeit einzubringen. Schweden führte dazu 1974 als eines der ersten Länder das Elterngeld oder den Lohnersatz für Arbeit ein, das auch ausdrücklich den Vätern zur Verfügung gestellt wurde.

Die heute 480 bezahlten Elterntage sollen im Prinzip gleich zwischen den Partnern aufgeteilt werden. Davon sind drei Monate nur für einen Partner reserviert und gehen verloren, wenn sie nicht genommen werden.

In vielen Tarifverträgen ist jedoch geregelt, dass der Arbeitgeber das Elterngeld der Sozialversicherung bis zu 100 Prozent aufstockt. Oft tun das die Unternehmen auch freiwillig. Sie möchten Männer, die meist mehr verdienen, dazu bewegen, Elternzeit zu nehmen.

Sich sechs bis acht Monate „papafrei“ zu gönnen ist in Schweden inzwischen normal. Eine gerechte Aufteilung hat man jedoch auch dort noch nicht erreicht. Trotzdem wurden 2022 zumindest 30 Prozent aller Elterntage, also im Schnitt an die fünf Monate, von beinahe allen Vätern übernommen.

Im Gegensatz dazu bezogen etwas weniger als drei Viertel der deutschen Daddys 2022 überhaupt kein Elterngeld. Und die, die ihren Anspruch geltend machten, verbrachten im Schnitt nur 3,6 Monate mit ihren Kindern.

Trennungsmodelle (m/w) 50/50

Was das „Bonding“ angeht, so bauen Väter und Kinder in acht Monaten eine intensivere Beziehung auf, die das ganze Leben lang hält. Deshalb ist es für schwedische Papas heute selbstverständlich, auch nach einer Trennung Prozent der Kinderbetreuung zu übernehmen.

Das macht laut einer Studie des Karolinska-Instituts in Stockholm die Kinder sehr viel glücklicher als das deutsche Einelternmodel. Denn die Eltern engagieren sich in kinderfreien Wochen meist intensiv im Job, arbeiten in der Kinderwoche jedoch weniger, um sich der Familie zu widmen.

Pappa und Sohn

(Foto: Karin Enge Vivar/Folio/imagebank.sweden.se) Für schwedische Papas inzwischen selbstverständlich, auch nach einer Trennung 50 % der Kinderbetreuung zu übernhemen.

Auch die Unternehmen haben sich auf das 50/50-Model eingestellt und sind froh, weder durch Geburt noch durch Trennung unterm Schnitt wertvolle Crewmitglieder (m/w) zu verlieren.

Unabhängige Liebe

Eine gesunde Beziehung, ob Ehe oder nicht, ist nur dann gleichwertig, wenn beide Partner frei und autonom sein können. Eigenständig und unabhängig – auch steuerlich. Lars Trägård, schwedischer Historiker und Experte für das Nordische Model, umschreibt dies als „die schwedische Theorie der Liebe“.

Denn nur so verbinden sie sich aus freiem Willen und nicht wegen irgendwelcher wirtschaftlichen Vorteile, emotionaler Abhängigkeiten oder wegen gesellschaftlicher Erwartungen.

Die Rolle des Staates ist es, dies zu ermöglichen. So ermöglicht mir z. B. der schwedische Staat in Deutschland Keynotes zu halten, wissend, dass meine Tochter kostenlos ein Mittagessen auf Restaurantniveau erhält. Meine Tochter hingegen ist bei ihrer späteren Berufswahl von meiner Einflussnahme geschützt, denn das Geld für das Studium bekommt sie unabhängig von meinem Einkommen vom Staat. Auch später muss sie nicht unfreiwillig aufkommen für meine Alterspflege. Sie wird mich besuchen, wenn sie will, nicht weil sie muss. Freie Wahl ist Trumpf.

Diese Unabhängigkeit bedeutet jedoch auch im Umkehrschluss die Verantwortung, meine Reifen selbst zu wechseln, die Hälfte des romantischen Dinners zu zahlen und mein eigenes Geld zu verdienen – und zu versteuern.

Das würde auch den Deutschen zum Glück verhelfen!

Für den Fall, dass sich jemand fragt, warum diesen Artikel eine Glückforscherin und Expertin für #HappyNordicLeaderShip schreibt. Nun, subjektiv erfahrene Freiheit, dein Leben so einzurichten, wie du es möchtest, ist einer der stärksten Treiber für ein glückliches Leben.

Das gilt für Frauen und für Männer, denn auch den Vätern wird die Last genommen, allein für das Einkommen der Familie verantwortlich zu sein, und sie bekommen die Möglichkeit geschenkt, an der Entwicklung ihrer Kinder und der Haushaltführung teilzuhaben.

Frauen und Mütter hingegen bekommen die Möglichkeit geschenkt, gleichberechtigt am Berufsleben teilzuhaben und für ihren steuerlichen Beitrag an der Gesellschaft auch die finanzielle Sicherheit aufbauen zu können, die sie sich verdient haben. Eine #Altersvorsorge beispielsweise, die ebenso hoch ist wie die der Männer.

Frauen, zieht mit!

Klar ist, dass wir Frauen mehr Verantwortung für uns und unser finanzielles Einkommen übernehmen müssen und gleichermaßen mehr Verantwortung, bezogen auf Kindererziehung, abgeben sollten. Vielen fällt das schwer. Ich kenne zahlreiche Mütter, die noch in Teilzeit arbeiten, wenn die Kinder längst den 15. Geburtstag gefeiert haben. Die ihren Männern die Pflege der Kleinkinder nicht zutrauen und die Duospitzen zweier Frauen in Teilzeit als fortschrittlich ansehen.

Manchmal muss man sich entscheiden, konsequent den ganzen Weg zu gehen. Auch wenn es wehtut. Ich persönlich bin ihn für meine Tochter bis nach Schweden gegangen. Ich möchte, dass sie ihr Potenzial gleichberechtigt nutzen kann. Genauso gerne wäre ich in meiner schönen Heimat geblieben. Deshalb mache ich jetzt Lärm und fordere:

Her mit den eigenen Steuern!

(Mehr zu den finanziellen Folgen von Teilzeit, Minijob, Ehegattensplitting & Co im nächsten Artikel.)

*Nach 1971 wurden einige Elemente des gemeinsamen Besteuerungssystems beibehalten, wie das Einkommen aus Kapital- und anderen nicht-gewerblichen Einkünften, welche Anfang der 1990er-Jahre abgeschafft wurden. Die gemeinsame Besteuerung auf das Vermögen lief 2007 aus.