Wertschätzen wie die Weltmeister: 7 Impulse aus den Nordics
Wertschätzung? „Ich glaube, ich bin hier ein besserer Mensch geworden“, so die Antwort von Martin Glatz, Geschäftsführers von Advantage Austria Nordics, der Österreichisch-Nordischen Handelskammer. Wir schlürfen den ersten Glühwein des Winters auf dem Adventsempfang. Ich hatte ihn nach seinen Erfahrungen nach einem Jahr Schweden gefragt.
Es ist einfacher, ein guter Mensch zu sein unter guten Menschen. Es ist einfacher, Wertschätzung zu zeigen in einer wertschätzenden Umgebung.
Wertschätzung macht mehr als zufrieden!
Die neue XING Job-Happiness-Studie 2022 zeigt, dass wir auf dem Gebiet der #Wertschätzung in Deutschland ein wenig Nachholbedarf haben. Nur 58 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sagen, sie erfahren angemessene Wertschätzung.
Dabei sind laut dieser XING-Studie 73 Prozent durchaus zufrieden mit ihrer aktuellen beruflichen Situation. Zufriedene Mitarbeiter:innen werden allerdings mit völlig anderen Attributen assoziiert als glückliche. Das zeigte auch die Studie meiner lieben Kollegin Prof. Dr. Ricarda Rehwaldt. Zufriedene Mitarbeiter:innen sind zwar nett, aber weniger #intrinsisch motiviert und autonom handelnd. Um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern, benötigen wir die Energie glücklicher Menschen. Und da lohnt sich der Blick in die skandinavischen Länder, wo nicht nur die glücklichsten Menschen leben, sondern auch arbeiten.
Denn Wertschätzung ist tief in ihrer DNA verwurzelt.
Doch was bedeutet dieses Wort? Wertschätzung wird gern in einem Atemzug mit positivem #Feedback oder mit #Lob genannt. Oft für das, was man tut, jedoch weniger für das, was man ist.
Unglücklicherweise ist es mit der Wertschätzung vorbei, sobald man nicht mehr „funktioniert“, einen Fehler macht oder nicht die erwartete Leistung erbringt.
Doch Wertschätzung betrifft einen Menschen als Ganzes, sein gesamtes Wesen. Sie ist unabhängig von Taten oder Leistungen. Zumindest ist das im Norden so.
Das unvollständige mögen
„Schön, dass du da bist. Wir achten dich genauso unperfekt und unvollständig, wie du bist. Inklusive deiner Schwächen. Gerade das macht dich besonders.“ Gerade diese #Einzigartigkeit ist erwünscht. Denn wir benötigen die #Vielfalt der Blickwinkel, um gute Entscheidungen zu treffen. „Alla är olika, olika är bra”, so ein schwedischer Spruch. Alle sind unterschiedlich und unterschiedlich ist gut. So lernen es die kleinen Wikinger in der Schule. So bleibt es ihr Leben lang.
„Man wird hier eher dafür belohnt, dass man den eigenen Weg gegangen ist, denn dadurch hat man ganz eigene Qualitäten, die man in die Gruppe einbringen kann.“
Martin aus Deutschland, leitender Oberarzt der Anästhesie, Sahlgrenska Krankenhaus, Schweden
„Liebe! (=Imperativ)“
So lautet tatsächlich ein Kapitel meines Buches „Acht Stunden mehr Glück“.
Als kleine nordische Gedankenübung würde ich in Deutschland das Wort Wertschätzung gern mit dem Wort Liebe ersetzen.
Ich glaube, so fällt es uns leichter, die emotionale Komponente der Wertschätzung besser zu begreifen. Die nicht berechnend ist, keine Gründe benötigt und die man sich nicht verdienen muss. Wahre #Liebe ist bedingungslos und auch Wertschätzung sollte es sein.
Ob Liebe oder Wertschätzung: beides zu zeigen macht mich #verletzlich. Wir öffnen uns und gehen das Risiko ein, abgewiesen zu werden. Doch gerade das macht die Kraft der Wertschätzung aus. Dass sie uns tiefer miteinander verbindet, als ein simples Lob.
„Liebe. Das ist ein großer Wert hier. In Dänemark siehst du den CEO oft zwischen seinen Mitarbeitern. Einander nahe zu sein, ist ein wichtiger Aspekt in Dänemark, auch für Führungspersonen. Das ist sehr wichtig für ein Gefühl von Vertrauen.“
Helle, Personalleiterin des Ingenieurbüros MOE, Dänemark
Hej – vem är du?
„Wer bist denn du?“, das werdet ihr im Norden ständig mit neugierigen Augen gefragt werden.
Lange bevor der heutige Oberarzt Martin nach Schweden zog, schaute er auf der Arbeit eines befreundeten Kollegen in Göteborg vorbei. Auf dem Krankenhausflur kam ihnen ein freundlicher Mann in Holzschuhen, Jeans und kariertem Flanell-Hemd entgegen. Die Ärmel des Kittels hochgekrempelt, Farbreste auf seinen Händen. Alles klar. Der Hausmeister, so dachte Martin. Der Mann kommt lächelnd auf ihn zu und sagt: „Hallo, wer bist denn du?“ Begleitete die beiden ein Stück und verabschiedet sich mit den Worten: „Schön, dass du da bist und Interesse zeigst!“
Tiefes Interesse an den Menschen
Wertschätzung bedeutet ein tiefes Interesse an den Menschen unabhängig davon, welchen Rang man zufällig bekleiden mag. Das führt zu #Nähe, die jeden formalen Abstand überbrückt. „Ich kann in den offenen Kalender des Führungsteams schauen und fragen: ‚Ich sehe, dass du eine halbe Stunde frei hast. Können wir zusammen einen Kaffee trinken?‘ Und sie würden alle ‚ja‘ sagen. Sie interessieren sich für die Dinge, die wir zu sagen haben. Man schenkt sich #Aufmerksamkeit, ich denke, das ist typisch schwedisch.“
#Neugierde und Nähe sorgen dafür, dass Menschen einander #wahrnehmen. Schließlich können wir nur wertschätzen, was wir sehen. Und dazu bedarf es Zeit und #Beachtung. Auch gegenüber unserer eigenen #Haltung. Denn wir schauen alle durch unsere eigene Brille. Es bedarf Anstrengung das zu wertschätzen, was nicht in unsere Denkmuster passt.
„Ich glaube, die Tatsache, dass wir miteinander reden können, egal ob es der CEO ist oder der Hausmeister, ist ein großer Teil des Glücks im Norden. Es wird immer gut aufgenommen mit einem: Danke, dass du deine Ideen mit mir teilst.“
Tove, Executive Vice President Supply Chain, Yara, Norwegen
Gekonnt bescheiden
Wertschätzung kann schnell eine großzügige Geste von oben nach unten werden. Doch im Norden kennt sie keine Richtung. Genauso wie die Führungskraft kann jeder im Unternehmen seiner Wertschätzung Ausdruck verleihen.
Das durfte auch der Deutsche Jens-Peter Saul erfahren. Von einem Tag auf den anderen wurde er zum Vorstandsvorsitzenden von Siemens Windpower ernannt. Noch im Flieger aus London schrieb er seine Antrittsrede, die er am selben Tag vor 7000 Mitarbeitern im dänischen Jütland hielt. Danach sank er völlig überrumpelt in seinen neuen Vorstandsstuhl.
Da klopft es plötzlich an der Tür, und vor ihm steht ein Mann im blauen Overall und sagt: „Hallo Jens, ich bin Søren von der Produktionslinie Nummer 3. Du – nach deiner Rede saßen wir zusammen und haben uns überlegt, Mensch, der hat alles stehen und liegen lassen, um hier den Betrieb aufzufangen, und dann gleich eine so persönliche Rede gehalten. Das fanden wir echt gut. Und da dachten wir: Der kann es jetzt auch bestimmt gebrauchen, das zu hören. Und deshalb bin ich hochgekommen, ums dir einfach mal zu sagen.“
Wertschätzung gilt dem Menschen nicht der Position
Eine wertschätzende Kultur ohne #Respektgefälle kann Hierarchien kennen, doch auf die zwischenmenschliche Beziehung haben sie im Norden keinerlei Einfluss. Das ist der Ausgangspunkt der skandinavischen Wertschätzung: tiefe #Anerkennung dafür, dass jeder etwas Wertvolles beitragen kann.
„Bloß weil du einen Titel hast, hast du keinen Respekt verdient. Aber ich respektiere dich sofort als Person, so wie du bist.“
Marina, Leiterin der OP-Schwestern, Sahlgrenska Krankenhaus, Schweden
Im Hintergrund ist auch noch Platz!
Die, die weniger um sich selbst kreisen, sehen mehr von ihrer Umgebung. Auch wenn die Einzigartigkeit eines Menschen gefördert wird, so ist Selbstdarstellung und Konkurrenzdenken im Norden sehr viel weniger ausgeprägt. Schließlich soll niemand denken, er sei etwas Besonderes, oder besser als andere, so sagt es das ungeschriebene Jante-Gesetz der Skandinavier.
Gemeinschaft ist mehr als mehrere Individuen
Denn wir sind immer Teil einer #Gemeinschaft, die zusammen mehr sein kann als lauter Individuen allein. Deshalb sollten wir den individuellen Beitrag im #Kontext des Ganzen begreifen. Dann wird es einfacher, zu sehen und zu benennen, welchen bedeutungsvollen Beitrag ein jeder leistet. Dann sind die Fleißigen im Hintergrund so wichtig wie die, die den Megaauftrag an Land gezogen haben.
So wurde beim dänischen Fensterhersteller Velux, eine – zugegebenermaßen deutsche – Führungskraft trotz überragender Ergebnisse entlassen. Es war aufgefallen, dass dieser Herr sich gegenüber allen, die in der Hierarchie über ihm standen, großartig verhielt. Allen anderen gegenüber jedoch zeigte er sich herablassend. Kein Bonus also für herausragende Leistung auf Kosten des #Wohlbefindens anderer.
„Menschen in meinem Team leisten einen bedeutsameren Beitrag zum Ergebnis, als ich es kann. Ich muss nur die Ergebnisse koordinieren, damit die gesamte Abteilung scheint. Ich scheine nur durch andere.“
Jenny, PR-Leiterin, Scandic-Hotels, Schweden
Und erst dann wird angefeuert!
Augen zu und ab unter die skandinavische Dusche voll wertschätzendem Wohlklang und aufmunternden Worten. Ständig. Überall. Mit strahlenden Augen und echt ernst gemeint.
Während der ersten schwedischen Orchester-Generalprobe meiner Tochter hörte ich anfangs schaurige schräge Wiederholungen. Doch die Dirigentin rief voller Begeisterung: „Snyggt! Toll! Gut gemacht! Und jetzt machen wir es noch besser!“
Alles, was geschieht, hat auch eine positive Seite. Jeder Satz, den wir formen, kann auch positiv gebildet werden. Diese Entscheidung für den positiven Blick auf die Welt, ist es, was die Skandinavier von uns unterscheidet, glücklich macht und aneinander bindet!
Unverbesserlich wertschätzend
„Uppåtpuff“ nennen es die Schweden. Anfeuern, jemanden hoch puffen! Es lohnt sich, denn damit fokussieren wir uns selbst auf das #Positive und freuen uns an der Freude der anderen mit. Ähnlich dem „Helpers-High“, das dafür sorgt, dass Endorphine durch den Körper rauschen, sobald wir eine gute Tat vollbringen.
Auch, wenn etwas nicht gelingt, wie der deutsche Konstantin mir grinsend erzählt: „Wenn du etwas falsch gemacht hast, würde ein schwedischer Chef sagen: Okay, es ist falsch gelaufen. Zum Glück hast du es gefunden, zum #Glück hast du es rechtzeitig gesagt. Also man versucht, irgendetwas Positives zu finden.“
Die stärkste Kraft, dein eigenes Wohlbefinden zu steigern, ist es, jemand anderen anzuspornen. Also sprich über Erfolge anderer. Klopfe Menschen auf die Schulter, wenn sie etwas erreicht haben. Zeige Wertschätzung für das, was andere Menschen geschafft haben.
Kent, Executive Vice President Personal, Scania, Schweden
Willkommen zu den Stars auf der Arena der positiven Worte, bedachtsamer Worte. „Omtanke“, so lautet das Zauberwort dafür. Bedachtsamkeit. Eine Flasche Weichspüler sollet ihr deshalb in eurer mentalen Tasche haben und über den deutschen Satzentwurf kippen.
„Dänen denken mehr darüber nach, wie man etwas vermittelt, damit der andere das auch versteht, ohne sich gekränkt zu fühlen“, so Marion, deutsche Wahldänin. Sie sagen aber auch außerordentlich viele positive Dinge. Und unglaublich viel danke. #Danke für das Essen, danke für das Treffen. Danke für deine Zeit. (Mehr dazu in meinem Blog über Konflikte lösen auf skandinavisch.)
In unseren Beratungsgesprächen zu Happy Nordic Leadership wird oft die Sorge über zu viel Lob geäußert. Alle Skeptiker darf ich beruhigen. Das Negative haftet immer stärker in unserer Wahrnehmung. Im Verhältnis 3:1, im zwischenmenschlichen Bereich sogar noch mehr. Entspannt euch also. Solange ihr alle oben genannten Aspekte berücksichtigt, werdet ihr nicht überwertschätzen.
Es lohnt sich!
Es gibt einen Grund, weshalb Dänemark den Competitive Index anführt und Schweden European Innovation Leader ist. Weil sie den Enthusiasmus eines wertschätzenden Teams nutzen in dem glückliche Menschen ihr Ego zurückschrauben, um das gemeinsame Ziel zu erreichen.
Im Kontext der Wertschätzung ist das jedoch völlig uninteressant, denn sobald sie für andere Ziele eingesetzt wird als nur um ihrer selbst willen, verliert sie ihre Glaubwürdigkeit.
Im Übrigen bin auch ich ein besserer Mensch geworden. Aufmerksamer, wertschätzender und liebevoller. Ein dank an alle Schweden, die mich das täglich lehren.