Glück und Nachhaltigkeit. Ein echt schräges Paar mit Potenzial für die Ewigkeit
(Foto oben: Foto: Fredrik-Schlyter_imagebank.sweden.se)
„Können Sie Ihre Keynote auch über Nachhaltigkeit halten, statt über Glück und Skandinavien?“
„Bitte?“
Der Kunde der Agentur, mit der ich gerade telefoniere, hat sich nach mehrmaligem Verschieben entschlossen, seine Veranstaltung nun doch stattfinden zu lassen. Notfalls digital. Nur ist das Thema jetzt ein anderes als vor einem Jahr. Nachhaltigkeit soll es sein.
Meine erste verblüffte Reaktion: „Nun, also, ich bin ja keine Expertin auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit.“
Obwohl …
Learning:
- Darf’s ein wenig weniger sein?
- Verantwortung geben lohnt sich
- Nichts Besseres zu sein ist besser
- Trau dich, zu vertrauen
- Lass „In-Frage-stellen“ zu
Manchmal ist es ja ungleich interessanter, sich einem Thema nicht nur frontal, sondern in dessen Kontext mit anderen Dingen zu nähern. Schließlich hört ja beim Thema Nachhaltigkeit das Glück nicht auf. Und auch die Skandinavier sind dann nicht raus aus dem Rennen. Im Gegenteil: Bei Glück und Nachhaltigkeit liegen die nordischen Länder stabil und über Jahre hinweg an der Spitze. Gibt es da einen Zusammenhang?
Skandinavier sind nicht nur die glücklichsten Bürger der Welt, sondern auch die nachhaltigsten.
Die Skandinavier (zu denen ich jetzt nicht ganz korrekt auch die Finnen zähle) belegen zusammen mit Deutschland, die ersten sechs Plätze des Sustainable Development Reports 2020. Sie haben sich in Bezug auf das Erreichen der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung bis 2030, am meisten vorgenommen und sind bei der Reduzierung der Kohlenstoffemissionen weltweit führend.
Warum sind die so nachhaltig?
Warum erzielen die nordischen Unternehmen, Regierungen und Initiativen auf jeder Skala der Nachhaltigkeit überdurchschnittliche Ergebnisse? Wikingerblut? Gruselige Krimis? Eisige Kälte? Der ewige Kampf mit der harschen Natur? Oder vielleicht liegt es am Ende gar am … Glück? Denn auch im World Happiness Report schwirren die Nordics konstant auf den ersten zehn Plätzen herum, sodass der letzte Report sogar ein Kapitel zum Nordic Exceptionalism aufgenommen hat.
Wenn wir enträtseln können, was die nordischen Kulturen dazu bringt, nachhaltiger zu denken, dann können wir anfangen zu verstehen, welche tieferen Veränderungen anderswo stattfinden müssen, um ähnlich erfolgreich zu sein. Auch wenn Musterschüler tendenziell nerven. Lassen Sie mich den „Sustainability Mindset“ entschlüsseln:
Eins ist klar: Glück und Nachhaltigkeit haben ähnliche Quellen. Und die sind tief im Selbstverständnis der Menschen verankert.
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Höher, weiter, mehr – schadet Glück und Nachhaltigkeit
Wenn Sie heute mal einen Blick in das iTunes Top-Ranking der deutschen Podcasts schauen, dann dreht sich coronabedingt das meiste um Finanzen und Geld. „Höher – weiter – mehr“ ist jedoch kein Ansatz, der unbedingt Nachhaltigkeit fördert. Diese Einstellung ist deshalb auch sehr „unskandinavisch“.
Das hat auch der Forscher Björn Preuss von der Copenhagen Business School festgestellt. Preuss‘ Forschung nutzt Algorithmen des maschinellen Lernens, um öffentlich zugängliche Online-Quellen zu analysieren. Er kann so die von und über Unternehmen verwendete Sprache „verstehen“.
Preuss‘ Forschungen legen nahe, dass Unternehmen, die starke „maskuline“ Eigenschaften aufweisen, wie z.B. Wettbewerbsfähigkeit und Fokus auf hohen Status und Gehalt, weniger nachhaltige Modelle und Einstellungen aufweisen als solche, die eher „feminine“ Eigenschaften zeigen. Darunter fallen zum Beispiel eine beratende Herangehensweise, ein Fokus auf die Förderung von Mitarbeitern, Konsens, Bescheidenheit. Und nicht zuletzt die Fokussierung auf das Glück und das Wohlbefinden der Menschen. Die Begriffe feminin und maskulin haben in diesem Kontext übrigens weder etwas mit Männlein oder Weiblein zu tun, noch mit besser oder schlechter. Sie beschreiben lediglich eine Dimension der sechs Kulturdimensionen, die der Sozialpsychologe Professor Geert Hofstede definiert hat.
Im Norden ist eher alles schwedisch „lagom“, was so viel bedeutet, wie „nicht zu viel, nicht zu wenig, gerade richtig“.Bescheidenheit und Zurückhaltung, nicht angeben, nicht protzen, sich mit weniger zufrieden geben, sorgen für mehr Gelassenheit und innere Balance, aber auch für weniger Motivation – koste es, was es wolle – erfolgreich zu sein. Nicht die schmackhaft leuchtende Karotte ist der Anreiz, sondern die intrinsische Motivation. Und die nährt sich meist daraus, seine Talente zu nutzen, um einen Beitrag für die Gemeinschaft zu leisten. Diese Haltung, so zeigt die Forschung zu meinem Buch „Acht Stunden mehr Glück“, ist dem Glück der Skandinavier privat und im Job zuträglich und erklärt die Innovationskraft und Produktivität dieser Länder, die den European Innovation Scoreboard anführen.
TIPP: Mach mal halblang! Weniger ist mehr.
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Du wirst nie frei sein, wenn du keine Verantwortung übernimmst
Und warum funktioniert das mit der Bescheidenheit und der Gelassenheit so gut? Weil Menschen hier lernen, sich ihrer selbst bewusst zu sein und eigenverantwortlich zu handeln. Freiheit unter Verantwortung „frihet under ansvar“, so lautet hier ein gängiges Sprichwort, das wirklich jeder Mensch im Norden kennt. Probieren Sie es mal aus und fragen Sie nach.
Es wird hier schon in die Kinderseelen geschrieben: Du wirst nie frei sein, wenn du nicht bereit bist, für dich und andere Verantwortung zu übernehmen. (Mehr dazu hier) Dass du diese Verantwortung tragen kannst, trauen wir dir zu. Verantwortung als Teil deiner persönlichen Freiheit ist also attraktiv und wird nicht als Last, sondern als Ehre empfunden. Ehrensache, diese Verantwortung für mich, die Gemeinschaft und den Planeten zu übernehmen.Nachhaltigkeit macht genau dann glücklich.
TIPP: Schenke Menschen Verantwortung und glaube an sie.
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Du sollst nicht denken, dass du etwas Besseres bist als wir
Auch hier können Sie gern auf der Straße nachfragen. Das Jante-Gesetz kennt im Norden jeder: Du sollst nicht denken, dass du etwas Besonderes bist oder besser bist als wir. Dieser Grundsatz nervt, wenn man unbedingt glänzen möchte, ist aber ein Grundstein für empfundene Fairness und gelebte Gleichberechtigung. Ich bin okay, du bist okay. Ich mache einen wichtigen Job, du auch. Ich verdiene angemessenes Geld für meine Arbeit. Du verdienst das auch. Ich habe recht auf Elternzeit und Karriere. Du auch.
Island, Norwegen, Finnland und Schweden belegen derzeit die ersten vier Plätze in der Gleichstellungsrangliste des Global Gender Gap Report 2020 des Weltwirtschaftsforums. Was ist das Ergebnis? Nebst einer diversen Gesellschaft und der vollen Nutzung des Potenzials aller, eine größere Nähe der Menschen zueinander. (Mehr dazu hier) Man sorgt sich umeinander und somit auch um das Klima, auch um das politische oder das Arbeitsklima.
TIPP: Kümmert euch umeinander
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Trau dich, zu vertrauen
Der oben genannte Report zum Nordic Exeptionalism nennt Vertrauen als Basis des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Noch ein Ranking, das die Skandinavier anführen. Es ist der hidden Champion, der versteckte Treiber in allem, was wir tun: das Vertrauen in andere Menschen. Eine hohe Gleichheit führt zu einem Gefühl der Fairness und des gegenseitigen Vertrauens. Diese Faktoren beeinflussen maßgeblich das Glücksniveau und die Lebenszufriedenheit einer Nation, so die Wissenschaftler des Artikels
Es gibt keinen gesellschaftlichen Zusammenhalt ohne Vertrauen. Und ohne diesen Zusammenhalt sind wir nicht überlebensfähig. Einsamkeit ist evolutionär eine der größten Gefahren für den Menschen, dahingegen machen Beziehungen gesund und glücklich. In einer 2016 veröffentlichten Studie von Delhey and Dragolov wurden drei Dimensionen des sozialen Zusammenhalts definiert: Verbindung zu anderen Menschen, gute soziale Beziehungen und die Ausrichtung auf das Gemeinwohl.
Die drei nordischen Länder – Dänemark, Finnland und Schweden – belegen die ersten drei Positionen im Index des sozialen Zusammenhalts. Eine Erklärung für das nordische Glück, aber vielleicht auch für deren Fokussierung auf Nachhaltigkeit, als Ausdruck der Sorge für das Gemeinwohl.
TIPP: Trau dich zu vertrauen
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Es ist mir nicht egal
Selten ist im Norden etwas egal. Selten wird etwas als gegeben angenommen. Schon die Kinder lernen zu hinterfragen und alles infrage zu stellen. Transparenz, Offenheit und Dialog kennzeichnen nicht nur die Unternehmens-kulturen, sondern auch die gesamte Gesellschaft. (Mehr dazu hier)
In den 1960er-Jahren entschlossen sich zum Beispiel die Schweden in heftigen gesellschaftlichen Dialogen dazu, das Ehegattensplitting – als sogenannte Frauen-Falle – abzuschaffen. Man fand es, wie alle anderen skandinavischen Länder, der Gleichberechtigung nicht zuträglich. (Mehr dazu hier)
Skandinavier haben das tief verwurzelte Gefühl, dass Sie wichtig sind, dass ihre Meinung zählt und nicht einfach irgendjemand bestimmt – weder die Regierung, noch der Vorgesetzte, noch die Eltern. Stattdessen bestimmen sie das zusammen.
Und das gilt auch für die Unternehmen. Sie sind nicht „nur“ die Wirtschaft oder ein Arbeitgeber, sondern werden als Teil der Gesellschaft wahrgenommen. Sprich, sie teilen die Werte der Gesellschaft und können nicht unabhängig von ihnen bestehen. Die Werte, die für Jan und Annika in der Schule gelten, gelten auch für börsennotierte Unternehmen. Was lernen die Kinder in der Schule? Ich habe bei der schwedischen Behörde nachgefragt: Schule dient dazu, Menschen dabei zu helfen, eigenständige Persönlichkeiten zu werden, die bereit sind, für sich und andere Verantwortung zu übernehmen.
TIPP: Lassen Sie Menschen in Fragen stellen und fördern Sie den Dialog
Bin ich jetzt Nachhaltigkeitsexpertin? Nein. Immer noch nicht. Ich bin Forscherin und suche Zusammenhänge, die „die Welt im Inneren zusammenhält“. Nachhaltigkeit ist mehr als nur ein super unsexy Wort, dass nach Verzicht und Regulierung schmeckt. Nachhaltiges Denken teilt sich denselben Stuhl mit dem Glück. Es ist dasselbe Mindest, das überraschenderweise zwei vermeintlich ungleiche Partner miteinander vereint. Hoffentlich bis in alle Ewigkeit.
Und jetzt freue ich mich – wie immer – auf angeregte Diskussionen, Dialoge und infrage stellen meiner Ideen.
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